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Donnerstag, 1. März 2012
Aus traurigem Anlass
Aus traurigem Anlass:Unterbrechung der Fortsetzung

Omi Aljia (Omi heißt im Arabischen :Mutter)

Heute rief mich Ibrahim erneut an. Am vergangenen Montag hatte ich fünf Anrufe in Abwesenheit auf meinem Handy, da ich im Zug saß, habe ich sie nicht gehört.
Nun heute habe ich das Telefonat annehmen können. Ich wusste, was er mir sagen würde.
Ich hätte vorher eine Wette darauf abschließen können, so sicher war ich, was die schreckliche Nachricht sein würde. Seine Stimme war unglaublich traurig und zutiefst erschüttert. Ich weiß, er sagte immer er liebt drei: Gott, seine Mutter und mich. Nun hat er nur noch seinen Gott.
„Du hast gesagt, ich solle mich melden, wenn meine Mutter stirbt.
Meine Mutter ist am Montag gestorben, das möchte ich dir nur kurz sagen, ich bin im Taxiphone (Telefonzelle) und das Geld ist jetzt zu Ende.“
„Ibrahim, es tut mir so leid. Ich möchte dir mein herzliches Beileid aussprechen und dir viel Kraft wünschen.“
„Danke, das ist lieb!“ Ein Klingelton kündigte das Ende der Verbindung an.
„Ich bin in Gedanken bei dir!“ konnte ich noch sagen, dann wurde das Telefonat unterbrochen.
Es tut mir aufrichtig leid um seine Mutter. Wir beide hatten ein ausgesprochen herzliches und harmonisches Verhältnis miteinander, obwohl wir uns nur partiell verständigen konnten.
Sie sprach kein Französisch und ich nicht genügend Arabisch. Trotzdem klappte die Verständigung auch ohne große Worte.
Eine kleine ,von der Sonne gegerbte sehr dünne Beduinin, eine Heilerin in ihrem Dorf, die schöne, bunte Stoffe und Kleidungsstücke liebte, die hennagefärbten roten Haare immer mit einem bunten, meist roten Kopftuch bedeckt.
Sie schlief in der kleinen Küche auf einem einfachen Bettgestell mit alter Matratze. Sie war genügsam. Mit wenig mussten sie in der Familie auskommen, mit einer sehr kleinen Rente des Mannes. Sie bestellte ihren Garten und zog das gesamte Gemüse für die Familie dort. Sie konnte mit einfachen Mitteln schmackhaftes Essen zubereiten und freute sich immer, wenn ich vom Markt eine Melone, Bananen oder anderes Obst mitbrachte.
Sie rauchte nicht, aber priemte regelmäßig ihren Tabak. Die Zähne hatten mit den Jahren darunter gelitten, auch weil sie nicht genügend Vitamine zu sich nehmen konnte. Zu Schluss hatte sie kaum noch Zähne im Mund, ich glaube ein, zwei Zähne.
Ihre angebliche Spezialität war das „Austreiben von negativen Gedanken und Einflüssen“, den sogenannten“ bösen Augen“, dafür brauchte sie ein Kleidungsstück desjenigen, der sich helfen lassen wollte und fing mit seltsamen Beschwörungsformeln an.
Ibrahim war ihr bester Kunde. Viele Male habe ich ihn zu ihr gehen sehen, um sich besprechen zu lassen.
Ich habe einmal versucht zu argumentieren, dass ihre Fähigkeiten anscheinend nicht so wirkungsvoll sein können, wenn man es jeden Tag wiederholen muss.
Dieses Argument hat Ibrahim aber nicht zugelassen.
Ich denke heute aus gegebenem Anlass über seinen Spruch nach, wenn er nicht verheiratet sei, bevor seine Mutter stirbt, dann würde sie eine Hand aus dem Grab strecken und nie zur Ruhe kommen.
Sehr makaber diese Vorstellung!
Ich sehe Aljias Lächeln, ihre sehr schlanke Gestalt durch den Garten gehen, sehe sie ihre Enkelinnen schaukeln und auf dem Rücken tragen, sehe sie auf unserer Terrasse sitzen und ein kleines Glas Limonade trinken, sehe sie in Sorge um ihren Sohn Ibrahim, weil sie genau wusste, was er für ein problematischer Mensch ist.
Lange Jahre lang habe ich miterlebt, wie schwer sie arbeiten musste, ob bei der Olivenernte, ob im Garten, ob beim Wäschewaschen mit der Hand, Wasser aus dem Brunnen ziehen oder kilometerweite Strecken zum Einkaufen zurück zu legen. Ihre Hühner umsorgte sie und brachte die Eier immer vor ihrem Mann in Sicherheit. Sie teilte die Eier ein und schenkte uns manches Mal welche.
Ich sehe sie in einem meiner Sommerkleider, das ich ihr nach einem Urlaub überlassen hatte und das ihr viel besser passte als mir, weil sie so gertenschlank war.
Sie hatte ein sehr hartes Leben: sechs Kinder zur Welt gebracht, den jüngsten Sohn mit 53 Jahren und einige Totgeburten.
Ihr Mann und sie vertrugen sich schon etliche Jahre nicht mehr richtig, von einem Eheleben konnte keine Rede sein.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich Ibrahim jetzt fühlt.
Er hat seinen größten Halt verloren.
Er tut mir aufrichtig leid und ich trauere mit ihm um diese bemerkenswerte kleine Frau.
Ich hoffe, er fängt sich wieder und kann auf die Dauer alleine klar kommen.
Omi Aljia wurde 85 Jahre alt.

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